Wer war eigentlich Mathilde Vaerting?
Die erste ordentliche Professorin an einer deutschen Universität wurde vor 100 Jahren berufen.
* 1884 in Messingen,
ꝉ 1977 in Schönau
Erste ordentliche Professorin an einer deutschen Universität
Die Berufung von Mathilde Vearting als erste ordentliche Professorin an einer deutschen Universität stellte ein Novum dar und löste an der Universität in Jena großen Unmut aus. Doch wie kam es dazu?
Zunächst studierte sie Naturwissenschaften und Philosophie und wurde 1911 in Bonn promoviert. Ihre Forschungsarbeiten in der Pädagogik richteten sich schon früh gegen etablierte Lehrmeinungen und Unterrichtspraktiken. Außerdem widmete sie sich zunehmend dem Bereich Geschlechterforschung. Dieser Wissenschaftsbereich war bis dahin an deutschen Universitäten beinah unsichtbar und daher kaum erforscht- ein Novum in der Forschung.
Dabei untersuchte sie z.B. die Rolle des Geschlechts in der Bildung. Für sie waren Unterschiede in der Bildung vor allem die Auswirkungen gesellschaftlicher Machtpositionen. Sie verband auf diese Weise pädagogische, psychologische und soziologische Ansätze miteinander und öffnete den Weg für neue wissenschaftliche Fragestellungen. In ihrer Habilitationsschrift versuchte sie z.B., eine Neubegründung der vergleichenden Psychologie der Geschlechter zu etablieren.
Ihre Habilitationsschrift, die sie 1919 an der Universität Berlin einreichte, wurde unter anderem auch wegen Vorbehalten gegen ihr Forschungsgebiet abgelehnt.
Trotzdem berief sie der damalige Thüringer Minister für Volksbildung Max Greil 1923 als Professorin für Pädagogik an die Universität Jena. Die Leitung sah die Besetzung einer Frau an einem Lehrstuhl als Eingriff in ihre Autonomie. Kollegen sprachen ihr die fachliche Eignung ab und versuchten ihren Ruf zu schädigen. So veröffentlichte beispielsweise der Jenaer Zoologe und Antisemit Ludwig Plate 1930 eine Schmähschrift mit dem Titel „Feminismus unter dem Deckmantel der Wissenschaft“ gegen sie.
1933 verlor Mathilde Vaerting ihre Professur, wurde vom Hochschuldienst ausgeschlossen und durch ein Publikationsverbort zusätzlich an ihrer wissenschaftlichen Arbeit gehindert. Ein Ausreiseverbot verhinderte, dass sie Rufe an Universitäten in den Niederlanden oder den USA annehmen konnte. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bleibt ihr die Rückkehr an eine Universität verwehrt.
Lange wurde ihr wissenschaftliches Wirken wenig beachtet. Seit den 1990er/2000ern beschäftigt sich die Forschung aber zunehmend mit ihr. Heute gilt sie als eine der Pionierinnen der interdisziplinären Forschung und der Geschlechterforschung. Das Projekt frauenORTE Niedersachsen widmete ihr in ihrem Geburtsort einen Standort. Die Friedrich- Schiller Universität Jena ehrte die Professorin für Pädagogik mit einer Plakette.
Zum Weiterlesen
Tina Naumann: Mathilde Vaerting. Stieftochter der Alma mater Jenensis- ein ungeliebter Querkopf in der Saalestadt, in: Gisela Horn (Hrsg.): Entwurf und Wirklichkeit. Frauen in Jena 1900 bis 1933, Rudolstadt 2001, S. 245-265.
Margret Kraul: Mathilde Vaerting. Ein Leben und Werk im Kreuzfeuer der Geschlechterproblematik, in: Gisela Horn (Hrsg.): Entwurf und Wirklichkeit. Frauen in Jena 1900 bis 1933, Rudolstadt 2001, S. 91-112.
Gisela Horn (Hrsg.): Die Töchter der Alma Mater Jenensis. Neunzig Jahre Frauenstudium an der Universität Jena, Rudolstadt 1999.
https://www.uni-jena.de/231103-mathilde-vaerting
https://www.frauenorte-niedersachsen.de/die-frauen/bildung-und-beruf/mathilde-vaerting/#zitatfrau36
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