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Stellungnahme zur Aufnahme von Staatszielen und Stärkung von Gleichheitsrechten in die Thüringer Verfassung

Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Thüringen – Aufnahme von Staatszielen und Stärkung von Gleichheitsrechten

Sehr geehrte Mitglieder des Verfassungsausschusses,
wir bedanken uns für die Möglichkeit zum o.g. Gesetzentwurf Stellung beziehen zu können. Wir werden in dieser Stellungnahme auf beide Themenkomplexe eingehen.

Da die Fragenkataloge sehr viele Fragen im verfassungsrechtlichen Kontext stellen, die aus unserer Sicht mit juristischem Fachverstand beantwortet werden müssen, erlauben wir uns, diese nicht als Grundlage unserer Stellungnahme zu nutzen. Zwar zählt der Deutsche Juristinnenbund (Landesvertretung Thüringen) zu unseren Mitgliedsorganisationen. Dieser hat sich aber nicht an der Erarbeitung der Stellungnahme beteiligt.

Voranstellen möchten wir die Tatsache, dass bereits im Grundgesetz, Artikel 1 geregelt ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Da sich alle anderen Gesetze in Deutschland dem GG unterzuordnen haben, stellt sich uns die Frage, inwieweit dieser Artikel ernst genommen wird, wenn es zusätzlicher Regelungen bedarf, Diskriminierungen (im vorliegenden Gesetzentwurf bezogen auf das Diskriminierungsmerkmal Alter) zu thematisieren und im besten Fall zu verhindern. Da auch der Landesfrauenrat Thüringen von der Gleichwertigkeit aller Menschen ausgeht, erscheint es uns nicht sinnvoll, für eine von Diskriminierung betroffene Gruppe eine in der Verfassung verankerte Regelung zu treffen und andere Merkmale, wie Krankheit oder Behinderung, ethnische Herkunft oder Religion und Weltanschauung nicht zu berücksichtigen.

Da die Verfassung des Freistaates Thüringen im gleichen Wortlaut beginnt, wie das GG und die Würde des Menschen vor alles andere stellt, erwarten wir zunächst die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, diese Würde zu schützen, ernst zu nehmen. Somit würde eine Verfassungsänderung, die keine vollständige Aufzählung aller z.B. bereits im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankerten Diskriminierungsmerkmale berücksichtigt und darüber hinaus weiter bisher nicht geregelte Merkmale unberücksichtigt lässt, nicht ausreichen.

Ungeachtet dessen, bietet der Gesetzentwurf keine Lösung für von Altersdiskriminierung betroffene Kinder und Jugendliche. Eine Verpflichtung, die UN-Kinderrechtskonvention in Thüringen umzusetzen, wäre aus unserer Sicht zielführender.

Die gesellschaftliche Bedeutung des Ehrenamtes mit einem besonderen Schutz- und Förderauftrag verbunden als Staatsziel aufzunehmen hingegen, ist eine Forderung des Landesfrauenrates und wird ausdrücklich begrüßt. Allerdings sollte eine Verknüpfung mit dem „Schutz vor Altersdiskriminierung“ vermieden werden. Ehrenamtlich engagieren sich Menschen aller Altersgruppen.

Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist aus unserer Sicht nicht nur für die Gesetzgebungskompetenz relevant. Ein solches Staatsziel gilt es zu füllen mit gesellschaftspolitischem Inhalt, denn es kann nur dann wirksam sein, wenn dem konkrete Schritte folgen. Eine gleichwertige Landesentwicklung und damit gleichwertige Versorgung mit auch notwendiger sozialer Infrastruktur, zum Beispiel beim Angebot der flächendeckenden Gewaltschutzstrukturen nach der Istanbul-Konvention, muss zum Inhalt des Staatsziels gehören. Viel schwieriger scheint uns allerdings, zu garantieren, dass dieses Staatsziel von den kommunalen Gebietskörperschaften mitgetragen und ausgefüllt wird. Zu berücksichtigen wäre auch, dass gleichwertige Lebensverhältnisse für alle Menschen, die in Thüringen leben, egal ob dauerhalt oder in einem bestimmten Lebensabschnitt ihren Lebensmittelpunkt hier haben, unabhängig ihrer Herkunft oder ihres Aufenthaltsstatus gelten muss.

Verwundert hat uns hingegen, dass im Gesetzentwurf das Gebot der Bestenauslese bei der Besetzung öffentlicher Ämter verankert werden soll. Zum einen gehen wir davon aus, dass dies bereits gängige Praxis sein sollte, zum anderen wird dies explizit im AGG geregelt. Mit diesem Vorschlag wird zudem unterstellt, dass diversity management, paritätische Regelungen oder Quoten die Befähigung oder fachliche Leistung von Menschen ignoriert. Das Gegenteil ist der Fall. Frauen sitzen trotz gleicher Befähigung und Eignung nicht in Leitungsetagen, Queers ebenso wenig. Es sind nicht die Quoten, die zur Ungleichbehandlung führen, sondern das Fehlen dieser Maßnahmen. Über Jahrhunderte hinweg wurden Männer allein qua ihrer Männlichkeit als geeignet und befähigt angenommen. Es ist bezeichnend, dass genau jetzt, da sich Gesellschaft so verändert, dass auch Frauen mehr in führende Positionen kommen, eine Festschreibung von Eignung und Befähigung erfolgen soll.

Der Gesetzentwurf verschließt die Augen vor bestehenden strukturellen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Er ignoriert bestehende Forschung zur Wirkung tradierter Rollenbilder in Politik und Wirtschaft. Wir könnten vermuten, er versucht männliche Privilegien, Männerbünde und Patriarchat mit dem Begriff der Bestenauslese zu schützen. Das lehnt der Landesfrauenrat entschieden ab und spricht sich gegen die Verankerung dieses Abschnitts in der Thüringer Verfassung aus. 

Erfurt, 3.12.2020

Andrea Wagner, Vorsitzende
Ilona Helena Eisner, Geschäftsführerin

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