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Stellungnahme des Landesfrauenrates Thüringen e.V. zum Gesetz zur Aufhebung des Thüringer Erziehungsgeldgesetzes und der Verordnung zur Durchführung des Thüringer Erziehungsgeldgesetzes

Der Landesfrauenrat Thüringen e.V. ist als Dachverband und Vertretung für 28 Mitgliedsorganisationen um eine Stellungnahme zum o.g. Gesetzentwurf gebeten wurden. Nach Rücksprache mit den Vertreterinnen der Mitgliedsorganisationen befürworten wir den Gesetzentwurf zur Aufhebung des Thüringer Erziehungsgeldes und der dazugehörenden Verordnung.

Begründung:
Das Gesetz zum Landeserziehungsgeld in Thüringen sollte ursprünglich die Lohnlücke zwischen dem Bundeselterngeld und dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz schließen und den Eltern ermöglichen, die Erziehungsphase voll in Anspruch nehmen zu können. Mit der Änderung des Anspruches der Kinder auf einen Kita-Platz bereits ab dem 1. Lebensjahr ist diese Lücke nicht mehr vorhan-den. Seit August 2013 bekommen Eltern auch Bundeserziehungsgeld. Ab 2014 stiegt der Monatsbetrag von anfangs 100 auf 150 Euro und fließt zusätzlich auch im dritten Lebensjahr. Zu bedenken bleibt, dass der Bezug des Betreuungsgeldes in voller Höhe von anderen Sozialleistungen abgezogen wird und Mütter im Hartz-IV-Bezug leer ausgehen.

Sollen die Verteilungswirkungen des Betreuungsgeldes aber fundiert bewertet werden, müssen auch die mittel- bis langfristigen Einkommensverluste aus solchermaßen verlängerten Familienpausen betrachtet werden. Schätzungen auf Basis von SOEP-Daten belegen, dass sich die Bruttolohnverluste einer Frau mit abgeschlossener Lehre, die mit 30 Jahren ihr erstes Kind bekommt und ihre Vollzeitkarriere für insgesamt sechs Jahre unterbricht, bis zum 46. Lebensjahr auf insgesamt 153.072 Euro belaufen, wenn die Frau nur für ein Jahr komplett aus dem Erwerbsleben aussteigt und anschließend fünf Jahre Teilzeit arbeitet, bevor sie in die vorige Vollzeittätigkeit zurückkehrt.

Die dynamischen Einkommensverluste im weiteren Lebenslauf bergen ein wesentliches Armutsrisiko für die betroffenen Frauen und ihre Familien. Dies gilt insbesondere nach einer Trennung vom Partner, wenn die nunmehr alleinerziehende Mutter am Arbeitsmarkt auf sich allein gestellt und mit einer mehr oder minder stark verringerten Einkommenserzielungskapazität konfrontiert ist. Die zunehmende Individualisierung und Instabilität von Partnerschaften und Ehen erzwingt eine individuelle materielle Absicherung von Frauen, die mit dem Erfordernis einer weitgehend lückenlosen Erwerbskarriere einhergeht. Das 2008 reformierte Unterhaltsrecht hat diese Notwendigkeit noch verschärft, aber die Bedingungen für Frauen zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nicht wesentlich verändert. Kleinkinder werden in Deutschland weit überwiegend von Müttern betreut. Das Betreuungsgeld wird demnach vor allem von Müttern genutzt. Die beschriebenen nachteiligen Erwerbs- und Einkommenseffekte zementieren die geschlechtsspezifische Lohnlücke. Verfassungsrechtlich betrachtet darf der Staat - auch geschlechtsneutral formulierte Maßnahmen - nicht einführen, wenn sie de facto - aufgrund der sozialen Umstände - diskriminierend wirken.

Nach Ansicht von 12 deutschen Frauenverbänden seien andere Länder bereits dabei, diese Leistung wieder abzuschaffen. Ihre Erfahrungen hätten gezeigt, dass damit nur Fehlanreize gesetzt würden. Der Landesfrauenrat Thüringen e.V. kann sich aus frauenpolitischen Gründen diesen Verbänden nur anschließen. Soziale Leistungen für Familien sollten, wie bereits im ersten Gleichstellungs-bericht der Bundesregierung von Januar 2011 verdeutlicht, an der Lebens-verlaufsperspektive ausgerichtet sein und keine widersprüchlichen bzw. Fehlan-reize schaffen. Die Aufhebung des Thüringer Erziehungsgeldgesetzes und damit auch die nicht zielführende doppelte Förderung über Bund und Land, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Familien in jeder Form erbringen nach wie vor unverzichtbare Leistungen für die Gesellschaft. Sie „produzieren“ Humanvermögen, leisten private und auch öffentliche Fürsorge und stiften sozialen Zusammenhalt. Um diese Leistungen zu sichern, sind gesellschaftlicher Schutz und Unterstützung von großer Bedeutung. So muss nachhaltige Familienpolitik dazu beitragen, dass sich gesellschaftliche Rahmenbedingen entwickeln, die es Eltern ermöglichen, Fürsorge für Kinder, für die eigenen Eltern und für Partnerinnen und Partner als Teil der eigenen Lebensführung zu begreifen und zu leben.

Denn sozialer Wandel und Zeitstrukturwandel haben die Koordinaten von familialer Lebensführung verschoben. Zeitmuster zwischen Erwerbsarbeit, Familie und Öffentlichkeit, die noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einer konsequenten Trennung von Erwerb und Familie und mit der traditionellen geschlechterspezifischen Arbeitsteilung einhergingen, entsprechen nicht mehr dem, wie Frauen und Männer heute leben und was sie sich wünschen.

Diese Entwicklungen und Lebensbedingungen müssen zukünftig stärker berücksichtigt werden, um Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass junge Menschen Zeit für eine Familie in die eigene Biographie einplanen und auch umsetzten können. Schon der siebte Familienbericht hatte dazu die Empfehlung gegeben, Familienpolitik künftig als eine Lebensverlaufspolitik anzulegen.

Der Landesfrauenrat und seine Mitgliedsorganisationen empfehlen der Landesregierung, die freiwerdenden Mittel in die Förderung von Betreuungs-strukturen ab dem 1. Lebensjahr des Kindes und die Schaffung von tragfähigen Strukturen zur Unterstützung zum Wiedereinstieg in den Beruf von Vätern und Müttern zu investieren.

Ilona Helena Eisner
Vorsitzende des Landesfrauenrates Thüringen e.V.

Erfurt, 29. April 2015

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