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Offener Brief des Landesfrauenrates Thüringen e. V. und der Beauftragten für die Gleichstellung von Frau und Mann im Freistaat Thürignen:

Einerseits Buchstaben auf Papier, andererseits das echte Leben.

Sehr geehrter Herr Präsident,
mit Verwunderung und Bedauern haben wir registriert, dass eine Abgeordnete des Thüringer Landtages, Madeleine Henfling, die zurzeit nicht nur Abgeordnetenpflichten, sondern auch Mutterpflichten hat, am Mittwoch den 29. August 2018 den Plenarsaal auf Ihre Anordnung hin verlassen musste und mit ihrem sechs Wochen alten Sohn nicht wieder betreten durfte. Begründet wurde diese Entscheidung von Ihnen mit der Geschäftsordnung. In der gültigen Fassung vom 19. Dezember 2016 ist allerdings der Aufenthalt von Kindern nicht explizit geregelt.

Wir möchten an dieser Stelle auch nicht über Regelungen und Anlagen von Ordnungen diskutieren, sondern auf unseren jahrelangen Kampf, Frauen für die Arbeit in Parlamenten zu gewinnen, hinweisen. Ist die Forderung des Landesfrauenrates nach einem Parité-Gesetz zu hoch gegriffen, wenn es noch nicht einmal die Strukturen gibt, dass Abgeordnete mit Sorgepflichten ihr Recht und ihre Pflichten wahrnehmen können, ihr Mandat auszuüben? Wir bezeichnen diesen Saalverweis als Skandal. Denn das Kind kam ja nicht plötzlich. Bereits in der Schwangerschaft hat Frau Henfling mit Ihnen darum gerungen, eine für ihr Mandat handhabbare Lösung zu finden. Ihr Vorschlag Herr Carius, dass bei Abstimmungen eine CDU-Abgeordnete auf das Abstimmen verzichtet, ist ein Versuch, die Stimmenanteile des Parlaments zu wahren, doch er bietet Frau Henfling keine Möglichkeit, ihre Arbeit zu tun. Und entzieht einer weiteren Abgeordneten das Recht auf die Ausübung ihres Mandats.

Die Begründung des Verweises mit dem Kindeswohl allerdings, grenzt in unseren Augen an Sarkasmus. Es geht hier nicht um die Frage, was gut ist für Kinder, sondern es geht um die Frage, ob Menschen, die sich um Kinder kümmern, gleichzeitig in der Öffentlichkeit präsent und aktiv sein können, oder ob sich beides gegenseitig ausschließt. Ihre Entscheidung zeigt deutlich, dass Frauen und Männer als Eltern unterschiedlich gesehen und behandelt werden. Während Väter stolz die Fotos des Nachwuchses zeigen und zur Tagesordnung übergehen, müssen Mütter in der Politik dafür sorgen, sichtbar und aktiv zu bleiben.

Eine Auslegung der Geschäftsordnung, die Mütter ausschließt, ihre parlamentarische Pflicht zu erfüllen, ist strukturelle Diskriminierung und hat zur Folge, dass junge Frauen keine Mandate übernehmen können, selbst wenn sie es wollten. Ein Parlament, dass in dieser Form Mütter vom demokratischen Handeln ausschließt, ist nicht zeitgemäß.

Wie wollen Sie Vertreterinnen und Vertreter anderer gesellschaftlicher Bereiche davon überzeugen, gleiche Chancen und Rechte für Männer und Frauen einzuhalten, wenn Sie im eigenen Hause derartige Entscheidung treffen? Wie wollen Sie junge Menschen für die so dringende politische Arbeit begeistern, wenn Sie diesen nicht die nötigen Strukturen bieten? Wie begründen Sie Ihre Entscheidung gegenüber anderen Landtagsparlamenten bzw. dem Bundestag, in denen Kinder durchaus in Plenarsälen zu finden sind?

Die Beauftragte für die Gleichstellung von Frau und Mann und der Landesfrauenrat Thüringen e.V. erwarten von Ihnen, dass für den Thüringer Landtag schnellstmöglich Regelungen vereinbart werden, die für Abgeordneten die nötigen Strukturen schaffen, ihr Mandat auch mit Sorgepflichten für Kinder auszuüben.

Mit feministischen Grüßen

Andrea Wagner
Vorsitzende
Landesfrauenrat Thüringen e. V.

Katrin Christ-Eisenwinder
Beauftragte für die
Gleichstellung von Frau und Mann

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