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Forderungen des Landesfrauenrates Thüringen e.V. an die Landesregierung des Freistaates Thüringen in Bezug auf die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie im Freistaat Thüringen

Bereits im Mai dieses Jahres hat der Landesfrauenrat in einem Schreiben an den Thüringer Ministerpräsidenten auf die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf Frauen aufmerksam gemacht. In diesem Schreiben wurden die Auswirkungen erläutert, die von Wissenschaftler*innen Frauenorganisationen, Journalist*innen und Expert*innen wahrgenommen und veröffentlicht wurden.

Die Forderungen bezogen sich auf strukturelle Schieflagen, die zum großen Teil auf Bundesebene gelöst und in Zusammenarbeit mit anderen Landesregierungen in den Bundesrat eingebracht werden müssten. Auf diese wird von Seiten der Frauenorganisationen seit Jahren aufmerksam gemacht und deren Problematik hat sich in der Krise nun verschärft. In einem Antwortschreiben wurde versichert, dass die Forderungen angekommen sind und das Papier an die Gleichstellungsbeauftragten der Ministerien weitergeleitet wurde. Ob und wie es in die Bundespolitik eingebracht wird, findet keine Erwähnung, ebenso wenig erfolgte ein Gesprächsangebot an den Landesfrauenrat, um gemeinsam über die nächsten Schritte zu beraten.

Doch die strukturellen Schieflagen in der Gesellschaft sind nur ein Teil dessen, was zurzeit an Problemen an den Landesfrauenrat Thüringen herangetragen wird. In Zusammenarbeit mit den Mitgliedsorganisationen des LFR formulieren wir mit dem heutigen Schreiben Problemlagen und Forderungen, die sich auf Thüringen beziehen, die Thüringerinnen während der Krisenintervention zu bewältigen hatten und immer noch haben. Gleichzeitig weisen wir auch diesmal darauf hin, dass wir an der Erarbeitung gemeinsamer Lösungen interessiert sind und unsere Expertise einbringen können.

Es sind viele Milliarden Euro in Deutschland und den Bundesländern in die Hand genommen worden, um Hilfen so schnell wie möglich zu realisieren. Auffallend dabei ist, dass neben der Wirtschaft Familien durchaus im Blick sind. Doch explizite Förderungen, die auf die Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen und deren Chance auf Gleichberechtigung abzielen, sind in keinem der Hilfefonds zu finden.

Es ist unsere Aufgabe als LFR dies zu benennen und Nachbesserungen einzufordern.

Forderungen an die Landesregierung des Freistaates Thüringen:

  1. Verlässliche Kommunikationsstrukturen zwischen den Aktiven im Frauenschutz, von Beratungsleistungen, der Versorgung rund um die Geburt mit den zuständigen Abteilungen und Verantwortlichen in den Ministerien.
    Es ist ein großes Problem, dass bisher weder die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten des Landes noch die Koordinierungsstelle Häusliche Gewalt besetzt sind. Beide Stellen sind seit Januar 2020 unbesetzt. Inzwischen ist ein halbes Jahr vergangen. Die Kommunikationswege von Aktiven zu Verantwortlichen im Ministerium und in regionalen (Gesundheits-)Ämtern wurden als unzuverlässig und unkoordiniert wahrgenommen. Auf die Expertise der Frauenorganisationen wurde nicht zurückgegriffen. Da auch mit dem Abebben der Pandemie die Krise noch lange nicht vorbei ist fordern wir die sofortige Besetzung dieser Stellen, die strukturelle Eigenständigkeit der Gleichstellungsbeauftragten, um koordinierende, ressortübergreifende Aufgaben wahrnehmen zu können und die notwendige Ausstattung mit Ressourcen, Budget und (Entscheidungs-)Kompetenzen.
  2. Nachhaltige Anerkennung der Leistungen von Frauen und Männern in frauendominierten, systemrelevanten Berufen
    Wie wichtig und systemrelevant die Arbeit im Gesundheits-, Pflege-, Sozial-, und Bildungsbereich, im Handel und der Logistik ist, wurde durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie mehr als deutlich. Eine einmalige Prämie zur Anerkennung der Leistungen ist eine Geste, der weitere konsequente Schritte zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Entgeltzahlungen folgen müssen.
  3. Strukturelle Anbindung der Frauenorganisationen in Krisenstäben auf kommunaler und Landesebene
    Weder die Vertreterinnen aus dem Bereich Frauenschutz, die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten noch der Hebammenlandesverband, oder der Landesfrauenrat wurden in die Entscheidungsgremien zur Bewältigung der Krise eingebunden. Obwohl doch sehr schnell erkennbar war, dass die Folgen stärker Frauen treffen würden, wurde ohne deren Beteiligung auf ihre erkennbaren Bedarfe nicht ausreichend eingegangen. Für weitere Expert*innen-, Analyse- und Auswertungsgremien fordern wir eine deutlich höhere Beteiligung von Frauen und ihren vertretenden Organisationen.
  4. Umsetzung der Istanbul-Konvention in Thüringen
    Bereits seit 2018 ist die Istanbul-Konvention von Deutschland ratifiziert. Für die sichere Finanzierung und eine ausreichende Anzahl von Plätzen in Frauenhäusern und Frauenschutzwohnungen ist bisher allerdings nichts getan worden. Immer noch müssen Frauen in Not abgewiesen werden, gibt es kein flächendeckendes Netz. Es ist zu befürchten, dass durch Hilfsfonds, die unbestreitbar notwendig sind, Haushaltslöcher entstehen, welche mit Kürzungen in den nächsten Jahrzehnten gestopft werden müssen. Dies darf nicht zu Lasten der sozialen Hilfesysteme im Gewaltschutz gehen. Es muss an der Umsetzung der Istanbul-Konvention festgehalten werden. Darüber hinaus sollten praktikable Sonderregelungen auf Verstetigung geprüft werden, um die Förderzugänge zu erleichtern und damit der oft ehrenamtlichen Trägerstruktur entgegenzukommen.
  5. Sicherung der bestehenden Hilfesysteme, Ausbau im ländlichen Raum und barrierearmer Zugang für alle Menschen mit Hilfebedarf
    Leider hat sich gezeigt, dass der Zugang zu Hilfesystemen nicht ausreichend bekannt und leicht ist. Frauen mit Behinderung haben es zudem ungleich schwerer einen barrierearmen Zugang zu Hilfesystemen zu finden. Durch den Wegfall vieler Gemeinschafts- und Freizeitangebote und das Fehlen sozialer Kontakte gerieten viele vor allem ältere Frauen in Isolation und erhöhte Einsamkeit. Die Folgen sind noch gar nicht absehbar und können ohne sichere Hilfeangebote nicht bearbeitet werden.
  6. Verstetigung bundes- und landesweiter Kampagnen und deren Weiterentwicklung
    In einer Studie der TU München (https://www.chancengleichheit.tum.de/news-events/news-singleview/article/studie-haeusliche-gewalt-waehrend-der-corona-pandemie/) wurde deutlich, dass viele betroffene Frauen den Zugang zu Hilfesystemen nicht gefunden haben. Die Weiterentwicklung von Informationskampagnen, wie die bundesweite Kampagne „Stärker als Gewalt“ (https://staerker-als-gewalt.de/initiative/poster-aktion-haeusliche-gewalt) gemeinsam mit den Apothekenkammern wurde im Freistaat Thüringen zu spät aufgegriffen und letztendlich in Zusammenarbeit zwischen der Landesapothekenkammer und der LAG Thüringer Frauenhäuser umgesetzt. Öffentlichkeitsarbeit, die auf einen erleichterten Zugang zu Hilfesystemen abzielt, so llte landesweit koordiniert werden und durch das Land auch Unterstützung und Förderung erfahren.
  7. Digitale Beratungszugänge müssen ausgebaut und verstetigt werden. Dafür müssen zukünftig Sachmittel gefördert werden
    Viele Beratungsstellen, Frauen- und Familienzentren, Konfliktberatungsstellen und andere haben versucht mit vorhandenen Mitteln und technischer Ausstattung online- und Telefonberatungen anzubieten. Dies war und ist ein wichtiges Angebot, welches allerdings professioneller ausgestattet, bessere Qualität erreichen kann. Auch wenn gerade für Beratungssituationen der direkte Kontakt oft unverzichtbar ist, gibt es Themen im Hilfesystem, die durch eine bessere digitale Ausstattung und Weiterbildung effektivere Arbeitsbedingungen herstellen.
  8. Die Bedarfe von Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen müssen stärker in den Blick genommen werden
    Ein Kind zu bekommen ist schon in normalen Zeiten eine Ausnahmesituation. Das in Thüringer Kliniken Begleitpersonen zur Geburt ausgeschlossen wurden, beruhte nicht auf Empfehlungen des RKI und entbehrte jeder Logik. Es fehlten praxistaugliche Handlungsempfehlungen. Auch müssen Hebammen als systemrelevant angesehen werden und sollten auch als selbständig Tätige nicht selbst für Schutzkleidung sorgen müssen, sondern durch das Gesundheitsministerium über Kliniken, Geburtshäuser, Gesundheitsämter und den Hebammenlandesverband mit Schutzkleidung ausgestattet werden.
  9. Zugang zu Schwangerschaftsabbruch als Teil der sexuellen Selbstbestimmung muss auch in Krisenzeiten gewährt bleiben
    Da es sich bei diesen Eingriffen um ein befristetes Zeitfenster der straffreien Durchführung handelt, können Kliniken diese Leistungen nicht einfach absagen bzw. aussetzen und ungewollt Schwangere auf die Suche schicken nach einer ausführenden Klinik und damit Mobilität voraussetzen, die nicht überall gegeben ist.
  10. Mobilitätskonzepte vor allem für den ländlichen Raum, die eine bessere Anbindung an Versorgungs- und Hilfesysteme ermöglichen
    Dies betrifft alle hilfebedürftigen Gruppen, psychisch kranke Menschen, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen, Menschen, die von Gewalt betroffen sind und auch kurzzeitig erkrankte Menschen. Ein tragfähiges Mobilitätskonzept trägt zudem zu besserem Umweltschutz bei.
  11. Verfahrensunabhängige Spurensicherung ist in Thüringen, trotz vorliegendem Konzept bis heute nicht umgesetzt
    Wenn die Leistungen von Expert*innen, die mehrere Monate am Konzept gearbeitet haben dadurch Anerkennung findet, dass das Konzept in der Schublade verschwindet und die eingestellte Finanzierung nicht abgerufen wird, ist das nicht hinnehmbar. Ganz abgesehen davon, dass Menschen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, im bundesweiten Vergleich nur in Thüringen keinen geregelten und finanzierten Zugang zur verfahrensunabhängigen Spurensicherung haben."
  12. Beratungsstellen für Sexarbeiter*innen sind nur ein Teil dessen, was durch die konsequente Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes ermöglicht werden könnte
    Während der Pandemie sind Menschen, die in der Prostitution tätig sind, zu wenig unterstützt und bedacht worden. Unabhängig vom breiten Themenfeld, welches in diesem Zusammenhang bearbeitet werden muss, ist die Not dieser Menschen zu spät erkannt und bisher nicht ausreichend gelindert worden. Der geplante Runde Tisch muss mit der notwendigen Expertise aller entscheidenden Ministerien ausgestattet werden und kann nicht auf den Schultern einer noch fehlenden Gleichstellungsbeauftragten alleine lasten. Vor allem eine fach- und entscheidungskompetente Mitarbeit des TMASGFF ist für dieses Arbeitsgremium trotz Nachfrage nicht benannt worden.
  13. Soforthilfeprogramme für allein Erziehende, die sich die Lasten der Pandemiebekämpfungsmaßnahmen nicht teilen konnten
    Auch in Thüringen sind mehr als 80% der Alleinerziehenden Frauen. Wie viele davon in systemrelevanten, schlechtbezahlten Berufen arbeiten und es in normalen Zeiten schon schwer haben, Erwerbs- und Sorgearbeit zu vereinbaren, sollten eruiert werden, um gezielte Unterstützung für diese nicht unrelevante Personengruppe anzubieten.

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