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Offener Brief

der Vorsitzenden des Landesfrauenrates Thüringen e. V. an den TLZ-Chefredakteur Bernd Hilder zu den Beiträgen: „Auch Goethe war ein Fremder“ (TLZ 16.07.2014) und „Höcke: Drei-Kinder-Familie ist politisches Leitbild“ (21.07.2014)

Sehr geehrter Herr Hilder,
normalerweise lese ich nur aufmerksam und durchaus kritisch Ihre Tageszeitung und halte mich mit Kommentaren an die Redaktion zurück, obwohl es mir schon so einige Male in den Fingern juckte. Da Papier aber geduldig ist, sehe ich Ihren gestressten Redakteurinnen und Redakteuren jedoch so manchen Rechtschreibfehler nach. Aber das gilt nicht mehr für die einfache Mathematik! Da hört für mich das Verständnis doch auf, wenn gestandene Journalisten nicht bis fünf zählen können und sich heute nicht mehr an ihr Versprechen von vor einer Woche erinnern können. Ist das Zufall oder Absicht, Herr Hilder?

Worum geht es: In Ihrem Leserdialog der TLZ vom 16.07.2014 kündigen Sie auf der Seite 19 oben rechts vollmundig an, dass Sie „mit jedem Spitzenkandidaten der fünf im Landtag vertretenen Parteien… ein ganzseitiges Interview führen“, was in der heißen Phase vor der anstehenden Wahl am 14. September ja eine meinungsstärkende Maßnahme darstellt und von Ihrer Leserschaft begrüßt wird. Im Landtag sitzen- für Sie zur Erinnerung- die gewählten VertreterInnen der CDU, SPD, Die LINKE, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.So weit, so gut. Aber warum, Herr Hilder, stellen Sie am Montag, dem 21. Juli 2014, in der TLZ ganzseitig eine Mini-Partei vor, die bisher weder im Landtag gesessen hat und halb so viele Mitglieder hat wie eine x-beliebige Ortschaft in Thüringen, nämlich stolze 350? Die meisten Thüringer Dörfer haben mehr EinwohnerInnen als die AfD in ganz Thüringen Mitglieder.

Sie bieten damit einer Partei, die „Thüringen als politischen Sumpf“ bezeichnet, bisher nur durch parteiinterne Grabenkämpfe sowie ausländerfeindliche bzw. homophobe Äußerungen aufgefallen ist und ein durchweg schwammiges und nebulöses Wahlprogramm vor sich herträgt, ein Podium, das diese nutzt, um sich als „neue Volkspartei“ zu profilieren und die Drei-Kind- Familie zum politischen und gesellschaftlichen Leitbild zu erheben. Will uns da jemand vorschreiben, wie wir leben sollen? Eine Partei, die von sich behauptet, „eine historische Mission“ zu haben, halten wir vom Landesfrauenrat Thüringen für gefährlich, denn sie wird mit solchen Parolen sehr schnell zum Sammelbecken braunen Gedankengutes, bei dem die „deutsche Frau“ schon einmal als Gebärmaschine für die politischen Ziele missbraucht wurde. Sätze wie „Unsere Zeit wird kommen, so oder so“ machen jeden Menschen stutzig, der mit wachem Verstand das tagespolitische Geschehen in Deutschland und Europa verfolgt. Sprache ist verräterisch, wer wie Herr Höcke, von „natürlicher Geschlechterordnung“ und „positiver Unterordnungsfähigkeit“ spricht, der spricht sich auch gegen Gleichstellung und selbstbestimmte Lebensentwürfe aus. Die aus unserer Sicht bewusste Aufwertung der AfD durch Ihre Berichterstattung hinterlässt den faden Beigeschmack, dass die AfD in Ihren Augen bereits zu den Gewinnern der Landtagswahl am 14. September gehört.

Der Landesfrauenrat Thüringen, der sich seit über 20 Jahren für die Gleichstellung der Frauen in Beruf und Gesellschaft engagiert, macht sich ernsthafte Sorgen, ob man einer Partei, die die Frau wieder in ihre historisch bereits überwundene Rolle als Mutter und Hausfrau bewusst und zielgerichtet zurückdrängen will, wirklich Vertrauen schenken sollte.

Und es stellt sich natürlich die Frage: Wem bieten Sie als nächstes ein solches Podium der Selbstdarstellung?

Mit freundlichen Grüßen

Ilona Helena Eisner
(Vorsitzende Landesfrauenrat Thüringen e. V.)

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