Stellungnahme des Landesfrauenrats zum Antrag „Geschlechtergerechtigkeit am Thüringer Arbeitsmarkt stärken“
Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsmarkt ist ein wesentlicher Aspekt von Gleichstellung
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Gelegenheit zu dem oben genannten Antrag Stellung nehmen zu können. Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsmarkt ist ein wesentlicher Aspekt von Gleichstellung, daher begrüßen wir den Antrag der Landtagsfraktion der Linken. Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt sind weiterhin groß, betrachtet man bspw. die Erwerbsarbeitszeit, den Verdienst oder die Aufstiegsmöglichkeiten. Hierbei gilt es zu beachten, dass gerade bestimmte Frauengruppen wie Alleinerziehende, Frauen mit Migrationsgeschichte oder Frauen mit Behinderungen besonders betroffen sind.
Zum Antrag „Geschlechtergerechtigkeit am Thüringer Arbeitsmarkt stärken“
Zu Punkt III.)
1. Wir begrüßen Initiativen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erhöhen und freuen uns, wenn die Landesregierung hierbei vorangeht.
2. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird durch ein flächendeckende Ganztagsbetreuung von Kindern gestärkt und ist zudem ein Standortvorteil Thüringens für junge Frauen und Familien.
3. Wir befürworten eine Aufwertung von Berufen mit hohem Frauenanteil.
5. Frauen mit Behinderungen und Frauen mit Migrationsgeschichte sind auf dem Arbeitsmarkt besonders benachteiligt. So arbeiten beispielsweise Frauen mit Schwerbehinderung selten in Vollzeitbeschäftigung, deutlich seltener als Männer mit Schwerbehinderung und als Frauen ohne Schwerbehinderung. Frauen mit Migrationsgeschichte sind sowohl vom Migration-Pay-Gap als auch vom Gender-Pay-Gap betroffen: Sie verdienen weniger als Männer mit Migrationsgeschichte und als Frauen ohne Migrationsgeschichte. Diese Personengruppen sind von mehrdimensionaler Diskriminierung betroffen und müssten somit spezielle Unterstützung am Arbeitsmarkt erfahren. Studien zeigen zudem, dass Personen mit ausländischen Namen in Bewerbungsverfahren benachteiligt werden. Anonymisierte Bewerbungsverfahren wären hier eine Maßnahme, um dieser Diskriminierung entgegenzuwirken.
Zu Punkt IV.)
1. Das Ehegattensplitting ist ein zentraler Faktor für die relativ niedrige Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen in Deutschland. Um Erwerbsarbeit für verheiratete Frauen attraktiver zu gestalten und ihre Arbeitsmarktbeteiligung zu erhöhen, wäre eine Abschaffung des Splittings hin zu einer Individualbesteuerung zu empfehlen. Als spezifische Familienförderung kann das Ehegattensplitting nicht gelten, da vom Ehegattensplitting auch verheiratete Paare ohne Kinder profitieren während zeitgleich Alleinerziehende und unverheiratete Paare mit Kindern nicht profitieren. Um Familien bei einer Abschaffung des Ehegattensplittings finanziell nicht übermäßig zu belasten, können konkrete Steuerentlastungen für Elternteile oder Förderungen für Kinder in Betracht gezogen werden.
4. Das Entgelttransparenzgesetz zielt darauf ab, den Gender-Pay-Gap zu verringern, stellt bislang jedoch kein wirksames Instrument dar. Evaluationen der Bundesregierung zeigen, dass das Gesetz und seine Instrumente weitgehend unbekannt sind und daher nur selten zur Anwendung kommen. Eine Initiative in Thüringen, die die Bekanntheit und Umsetzung des Gesetzes fördert, ist aus unserer Sicht daher zu begrüßen. Mit Blick auf die EU-Entgelttransparenzrichtlinie, die bis spätestens Juni 2026 in deutsches Recht umgesetzt werden muss, ist eine Überarbeitung des Entgelttransparenzgesetzes absehbar. Diese wird voraussichtlich zu einer wirksameren Gesetzeslage führen. Wir empfehlen, die künftigen Neuregelungen frühzeitig über die Kanäle des Freistaats oder im Rahmen einer gezielten Informationskampagne bekannt zu machen.
7. Die inflationsbedingte Anpassung des Elterngelds ist dringend geboten und aus gleichstellungspolitischer Sicht zu befürworten. Da durch höhere Bezüge die Elterngeldnutzung auch für den besserverdienenden Elternteil attraktiver wird – in der Regel die Väter - kann man von einem positiven Effekt auf die paritätische Verteilung der Elterngeldmonate ausgehen. Darüber hinaus wäre eine Ausweitung von Partnermonaten (nicht übertragbarer Elterngeldmonate) ein wirksames Instrument, um die Beteiligung von Vätern am Elterngeldbezug zu steigern. Dies hat langfristige Effekte auf die stärkere Beteiligung von Vätern an der Sorgearbeit und damit auf eine erhöhte Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern.
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2.) Wir begrüßen eine stärkere Einbindung von migrantischen Frauen(-verbänden), Behindertenvertretungen und Gewerkschaften in politischen Prozessen. Zudem sollten Parteien und Ministerien sich als Ziel setzen, ihre eigenen Strukturen diverser aufzustellen und hierfür spezifisch auf bspw. Frauen, Migrant:innen und Menschen mit Behinderungen zugehen. Personen in Entscheidungspositionen sind in ihren Entscheidungen auch durch ihr persönliches Erleben und soziales Umfeld geprägt.
3.) Viele unserer Forderungen beziehen sich auf die Bundesebene (Elterngeld, Ehegattensplitting). Hier ist die Thüringer Regierung gefordert, ihre Stimme im Bundesrat deutlich zu machen, sowie die Parteien als solche dazu aufgefordert sind, parteiintern auf die Bundesebene zu wirken.
5.) Das Land unterstützt Frauen am Arbeitsmarkt mit verschiedenen Maßnahmen wie dem Förderprogramm für Führungspositionen von Frauen in der Wissenschaft, dem Mentoring-Programm für Frauen in Führungspositionen für die Bediensteten des Freistaats Thüringen sowie dem Projekt ThEx Frauensache zur Unterstützung und Vernetzung von Gründerinnen und Unternehmerinnen. Diese sind grundsätzlich begrüßen und könnten jeweils ausgebaut und bekannter gemacht werden. Spezielle Förderung für besonders benachteiligte Gruppen wie Frauen mit Behinderung, Frauen mit Migrationsgeschichte oder Alleinerziehende Frauen sind aufzubauen. Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf kann durch eine stärkere Unterstützung pflegender Angehörige verbessert werden (z.B. Kurzzeitpflege, Tagespflege). Zudem ist die im bundesweiten Vergleich gut aufgestellte und relativ kostengünstige institutionalisierte Kinderbetreuung in Thüringen aus gleichstellungspolitischer Sicht positiv.
12.) Da der bestehende und sich weiter verschärfende Fachkräftemangel ein zentrales Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland darstellt, kann eine erhöhte Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen eine Chance für einen wirtschaftlichen Aufschwung sein. Zahlreiche Frauen in Deutschland geben an, ihre Erwerbsarbeitszeit ausweiten zu wollen. Angesichts des hohen Qualifikationsniveaus – Frauen erzielen im Durchschnitt höhere Bildungsabschlüsse als Männer – stellt diese Gruppe ein bedeutendes und unzureichend ausgeschöpftes Arbeitskräftepotenzial dar. Zudem hindert Diskriminierung Personen daran ihr volles wirtschaftliches Potenzial zu entfalten. Ein geschlechtergerechter Arbeitsmarkt trägt maßgeblich zur wirtschaftlichen Entwicklung bei und wird von verschiedenen Wirtschaftsexpert:innen (u.a. Prof. Marcel Fratzscher) als vielversprechende Chance anerkannt.
16.) Der Arbeitsmarkt und die Berufswahl sind auch heute noch deutlich geschlechtersegregiert. Um dieser Segregation entgegenzuwirken, scheinen Maßnahmen besonders wirksam zu sein, die früh im Lebenslauf ansetzen. Dazu zählen unter anderem Mentoring-Programme wie etwa MINT-Initiativen für Mädchen, der Girls’ Day und Boys’ Day und die gezielte Förderung von Praktika in geschlechteruntypischen Berufsfeldern. Auch der Einsatz geschlechtersensibler Schulmaterialien sowie die Sensibilisierung zentraler Akteur:innen – insbesondere von Lehrkräften und Berufsberater:innen – sind empfehlenswert. Ergänzend können öffentliche Kampagnen, wie etwa die Initiative „Klischeefrei“, einen wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung leisten. Der Freistaat Thüringen sollte in seiner eigenen Öffentlichkeitsarbeit einen größeren Wert auf eine nicht-genderstereotype Darstellung legen (z.B. EFRE-Programm).
Erfurt, 13.06.2025
Weitere Information zum Antrag und zum Vorgang finden Sie hier: Link zur Webseite.